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Rezension zu
Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Konsumkritik und Vision

Von: Dagmar
31.01.2022

Kann es neue Geschäftsmodelle geben, eine neue globale Kultur, in der wir keine Lust mehr haben, die Hauptrolle in unserem Leben als Konsument*innen zu spielen? MacKinnon legt eine Analyse vor, in der er mit vielen verschiedenen Menschen auf der Welt im Austausch darüber selbstredend vor allem das alles darlegt, was schiefläuft. An einigen Stellen zeigt er bereits bestehende Einzelfälle von Gemeinschaften, die entweder noch nie in diesem Kreislauf des Konsums gefangen waren, oder ausgestiegen sind. Ein wirklich umfassenderes Modell wird allerdings nur marginal gestreift. Vor allem der Bekleidungsmarkt wird von ihm genauer unter die Lupe genommen, immerhin auf Platz 15 unter den großen Volkswirtschaften und in vielen ärmeren Ländern der Hauptverdienst für einen Großteil der Bevölkerung – z.B. Bangladesch, und viele Weitere werden nachziehen, derzeit z.B. Äthiopien. Beispielgebend für andere Modelle sind die südamerikanischen Länder, in denen das Buen Vivir als Modell des Guten Lebens den statistischen Erhebungen eines Bruttoinlandsprodukts an die Seite gestellt wird, z.B. Ecuador, Bolivien, Peru. In Ecuador gibt es ein Ministerium für das Gute Leben. Und es gibt in der Verfassung Die Rechte der Natur. Der Fehler im System des marktwirtschaftlichen Denkens liegt darin, dass wir die Schädigungen, die wir Mensch und Natur zufügen, abgekoppelt haben von unserer Konsumlust. Ist diese Konsumlust denn unersättlich? Womöglich evolutionär erklärbar? Es hat jedenfalls noch nie eine Partei wirklich damit geworben, eine Verbesserung der Situation zu erreichen durch Verringerung des Konsums. Rebound Effekt, Green Washing, lauter Strategien werden uns vorgeschlagen, die die Schäden kompensieren sollen – um das Wachstum der Weltwirtschaft aufrecht zu erhalten. „Erst in Folge der industriellen Revolution begann die Pro-Kopf-Produktion zu Beginn des 19. Jahrhunderts rasant zu wachsen. In den Hunden Jahren zwischen 1913 und 2013 wuchs die Weltwirtschaft dreißig mal schneller als während der längsten Zeit der Menschheitsgeschichte. Jedes Jahr wurden mehr und mehr dinge erzeugt und verkauft. Die Konsimökonomie war geboren.“ S.133 Aber was ist mit den sozialen Kosten, und was mit den Kosten, die entstehen durch Umweltzerstörung? Eine soziale Umverteilung des Wohlstands, eine Verringerung der Einkommensungleichheit bei gleichzeitiger Verringerung der Arbeitszeit könnte einen nachhaltigeren Wohlstand mit weniger CO2-Ausstoss mit sich bringen. Einkaufen ist zur vorübergehend wirksamen Einzeltherapie gegen Statusängste geworden, verhindert aber nicht, dass unser Selbstwertgefühl ständigen Attacken ausgesetzt ist. Andere existentielle menschliche Bedürfnisse treten in den Hintergrund. Eine Firma, die mit Demarketing für einen neuen Dekonsumismus wirbt ist Patagonia. Das Konzept des „Wort Wear“ versucht die Kunden dazu anzuhalten, die Kleidung möglichst lange zu tragen. Patagonia bietet die Reparatur der Kleidung an und veröffentlichst regelmäßig Fotos von Geflickter und stark benutzter Kleidung. (nach S.177) Interessant ist die Wahrnehmung der Konsument*innen: wenn eine Person, die es sich offensichtlich leisten könnte, schneller zu konsumieren, trotzdem am Dekonsum festhält, wird dies mit einem höheren Status bewertet, als bei einer Person, von der man glaubt, dass sie aus Mangel nicht mehr konsumieren kann. Es müsste also gelingen, Dekonsum mit einem Wert zu verbinden. Werbung kann bis zu 70 % der Kosten eines Produkts ausmachen. Es gibt bereits Hersteller, die diese Schiene fahren – aber die muss man dann suchen. Das passt nicht in unser System der Algorithmen, die uns heute sagen, was wir morgen wünschen. Extrinsische Werte verschaffen uns in ersterLinie Befriedigung, wenn sie von anderen anerkannt werden. (…) Intrinsische Werte verschaffen uns direkte innere Befriedigung, ohne dass wir äußere Bestätigung brauchen würden. >>Enge und treue Freunde zu haben << ist ein intrinsischer Wert.“ S.189 Unsere Art zu konsumieren ist zu einer Art der Bewältigungsstrategie verkommen in einer Gesellschaft eines kulturell geprägten Materialismus. „Das Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung ist ein wichtiger Anreiz für Shopping und Konsumismus. (…) >>Früher wollten wir Unternehmer sein. Jetzt wollen wir gute Menschen sein<<, sagte ein Studienteilnehmer.“ S.195 Als Island 2009 dem Staatsbankrott nahe war, reagierten viel Menschen mit einer Hinwendung zu intrinsischen Werten. Die Hinwendung zu extrinsischen Werten wurde zunehmend als Last wahrgenommen. „Schon vor der Pandemie hatte mich Kasser gewarnt, der Abschied vom Konsum sei eine Reise, die leicht begonnen, aber nur schwer fortgesetzt werden könne:>>Vielleicht nimmt das Wohlbefinden anfangs zu, weil wir uns von der Konsumkultur lösen, aber wir werden feststellen, dass intrinsische Werte nicht ganz so leicht zu verfolgen sind. Wir haben nicht immer die Fähigkeiten, um sie zu entwickeln und erfolgreich umzusetzen.<<“ S.201 Und wenn wir diese Fähigkeit nicht entwickeln konnten, steht es tatsächlich nicht gut um unser Wohlbefinden. Genau hier liegt der wunde Punkt eines auf extrinsischen werten fußenden Kapitalismus: er beraubt die Menschen der Fähigkeit, intrinsische Bedeutungen für sich zu generieren. Außerdem liegt in der extrinsisch motivierten, auf materielle Dinge ausgerichteten Lebenshaltung weniger Befähigung zur Entwicklung von solidarischen und kooperativen Verhaltensweisen, weil die Aufmerksamkeit in der Befriedigung der Bedürfnisse sehr egoistisch fixiert ist. Konsumverhalten richtet sich in der Regel an ein Individuum, nicht an gemeinsames Erleben. Ein nachhaltiges Konsumniveau ist also aus vielen Gründen anstrebenswert. eine der Firmen, die sich darum bemühen ist Levi Strauss & Co. Levi’s ist die größte Marke, die offen gestanden hat, dass unser Konsumverhalten unser größtes Umweltproblem darstellt. (nach S.215) Levi’s konzentriert sich auf das Kerngeschäft. Die Botschaft ist klar: weniger kaufen, aber dafür langlebiger. Und: recycling ist gut, aber Wiederverwendung ist noch besser. Die Marketingleiterin selbst von Levi’s hat sich vorgenommen, außer Levi’s Produkten nur noch gebrauchte Kleidung zu kaufen. Ein der Firmen, die ganz vorne stehen mit einem Aufruf zum Dekonsumismus. McKinnon ist der Ansicht, dass die Pandemie, die Quarantäne im Konsumverhalten, uns wie nichts vorher vor Augen geführt hat, wie deutlich sichtbar unser Verhalten die Umwelt beeinträchtigt. Fakir Fashion in Bangladesch, Strickwarenhersteller für unter anderem H & M, Zara, Tom Tailor, ist der Ansicht, dass es, entgegen aller Prognosen, gar nicht so schlimm wäre, wenn unsere Nachfrage nach Billigmode in Bangladesch zurückgehen würde. In dem Film „Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen“, erklärt ein anderer Hersteller das Prinzip von Fast Fashion: für das selbe Geld muss immer mehr produziert werden um der Wettbewerbsfähigkeit willen, was zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen führt. Der Leiter von Fakir Fashion erläutert, dass eine Erhöhung um 2 Cent pro Kleidungsstück nicht nur eine Lohnerhöhung von 7 – 8 Prozent ausmachen würde, sondern gleichzeitig auch die Möglichkeit mit sich brächte, weniger zu produzieren. Die Verfahren für das Recycling von Polyester, Baumwolle, als auch Mischgeweben sind mittlerweile so gut, dass bis zu 90 % der Materialien verwertet werden könnten. Eine Technologie dazu hat das englische Unternehmen Worn Again entwickelt. „Im Textilsektor wird gegenwärtig nur etwa 1 % der ausgemusterten Kleidung recycelt und erneut zu Kleidung verarbeitet; weitere 12 % werden in Produkte wie Matratzenfüllungen und Wischtücher umgewandelt. Aus Sicht von Unternehmen wie Worn Again gehen jedes Jahr Rohstoffe im Wert von 100 Milliarden Dollar verloren.“ S.257 Verbunden mit dem Gedanken einer Dekonsumkultur würden die Ressourcen, die bereits vorhanden sind, ausreichen, um unseren Bedarf an Kleidung zu decken. Solch eine Kreislaufwirtschaft würde nicht nur unser Konsumverhalten, sondern auch unsere Einstellung nachhaltig verändern. Der schnelle, unüberlegte Konsum wäre nicht mehr der >Mittelpunkt unseres Lebens und Strebens. Endlich könnte man sich wieder um existenzieller Bedürfnisse kümmern. Es gibt genügend Bereiche, in denen eine andere Form von Konsum praktiziert wird. Zum Beispiel unser Lieblingsitaliener um die Ecke. Wir wollen ihn klein, persönlich, familiär, mit langer Tradition. Warum denken wir bei anderen Unternehmen, sie müssten wachsen? In Japan gibt es die meisten Firmen mit alter Tradition: mindestens 35.000 die über hundert Jahre alt sind und einige Dutzend, die sogar über 500 Jahre alt sind. Dass schnelles Wachstum und schneller Konsum unserem Wohlbefinden nichts hinzufügen kann, ist eine Binsenweisheit. Eine weitere Wahrheit ist aber auch, dass wir um der Profite willen viele Dinge tun oder haben geschehen lassen, die unserem Wohlbefinden ganz offensichtlich großen Schaden zufügen. So wurde zum Beispiel die dem Wohlbefinden entsprechende Raumtemperatur in den USA zwischen 1923 und 1986 von 18 auf 24,6 Grad angehoben, was uns nicht nur lähmt, sondern auch fett und krank und inaktiv macht. „Thermale Langeweile“ wird das auch genannt. nach S.315 Gerade unter den Reichen gab es lauf McKinnon schon in der Vergangenheit viele, die sich um anderer Werte und Inhalte willen einem Dekonsumismus, Antikapitalismus, Antimaterialismus verschrieben haben. Könnte man irgendwie daherkommen, dass Wohlstand eben nicht ist gleich Konsum bedeutet? Wir brauchen Beispiel, wir brauchen Vorreiter, wir brauchen Menschen, die uns inspirieren. Wohlwissend, dass dem so ist, hat sich nun gleichzeitig ein Markt entwickelt, der ein oberflächliches Bedürfnis nach Nachhaltigkeit scheinbar befriedigt („Die grüne Lüge“, Film von und mit Katrin Hartmann). Jedes mal, wenn wir etwas effizienter gestalten, umRessourcen einsparen zu können, tritt das so genannte >>Jetons Paradox<< ein: wir verbrauchen einfach mehr, immer bis zur Erschöpfung. Unser Appetit auf Konsum scheint unersättlich zu sein. Wir entwickeln Stromsparende Lampen – und installieren einfach mehr davon; wir bauen effizientere Elektrogeräte – dann kaufen wir eben mehr oder größere davon. Und selbst wenn wir das nicht tun, geben wir das Geld an anderer Stelle für Konsum aus. Geld ist ein „Trickbetrüger“ nach S.326. Es gibt verschiedene „Rebound-Effekte“. McKinnon formuliert eine einfache Faustregel: „Wenn wir mehr Geld ausgeben, erhöhen wir wahrscheinlich die Umweltauswirkungen unseres Lebensstils; wenn wir weniger Geld ausgeben, verringern wir sie wahrscheinlich. Egal, wo das Geld einfließt, es wird etwas bewirken.“ S.327 Ein Sozialphilosoph, Richard Greg, prägte bereits 1936 den Begriff „Freiwillige Einfachheit“. In den 80ern gab es einen Trend der sich „Down-Shifting“ nannte, und Herunterschalten meinte. Verschiedenen Ansätzen gemeinsam ist, dass wir uns unserer wahren Bedürfnisse um so besser erinnern, je weniger wir von den vorgegebenen extrinsisch motivierten Bedürfnissen entwickeln. „Bei fast allen Menschen klafft eine psychologische Lücke zwischen dem in ihren Augen richtigen Verhalten im Alltag und ihrem tatsächlichen Verhalten. Je materialistischer jemand ist, desto größer dürfte diese Lücke sein. Ob es ihnen nun wirklich bewusst ist oder nicht, Materialisten leiden oft unter ihrer Unfähigkeit, sich in bessere Menschen zum verwandeln: sie spüren eine Inkongruenz zwischen ihrem idealen und ihrem tatsächlichen Selbst. Bei Vereinfachern ist die Lücke oft kleiner, womit die Kongruenz größer ist.“ S.370 Dieses Buch knallt es einem so richtig vor den Latz: wir haben uns entfernt von dem, was ein nicht-entfremdetes Leben sein könnte auf eine noch nie dagewesene, zerstörerische Art. Anhand der vielen guten Beispiel, die MacKinnon bringt, wird es so plakativ anschaulich, dass man nicht umhin kann, über die eigenen Veränderungspotenziale nachzudenken und auch darüber zu reden. Prädikat wertvoll!

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