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Rezension zu
Nebenan

Nebenan und doch so fremd

Von: Caro.booklover
12.04.2022

Kristine Bilkau hat wunderbare Worte gefunden, um die Geschichte zweier Frauen zu erzählen, die gewisse Berührungspunkte haben, sich aber im Laufe des Romanes nicht persönlich treffen werden. Die Kapitel wechseln zwischen den beiden. Ihre Lebensmittelpunkte sind ganz unterschiedlich: Astrid ist eine niedergelassene Ärztin wenige Jahre vor dem Ruhestand, Julia ist Ende 30 und selbstständig kreativ tätig. Beide sind verheiratet, Astrid hat erwachsene Kinder, Julia wünscht sich sehnlichst welche. Julia sorgt sich um die Familie im Gelbklinkerhaus, die sie lange nicht gesehen hat. Das Haus erscheint unbewohnt und doch nicht verlassen. Wie ist dieses Paradoxon zu erklären? Julia verliert sich immer wieder in den Vorstellungen des Lebens ihrer Nachbarn, denen sie in die Fenster gucken kann, über die sie aber abgesehen von den Namen des Paares und der drei Kinder doch nichts weiß. Da scheinen die Instagram-Mütter, denen sie folgt, ihr sehr viel näher zu sein mit ihren auf der Plattform bereitwilligen, regelmäßigen Informationen. Wie kann es sein, dass wir Details wildfremder Menschen so nachverfolgen und nichts über die Leute nebenan wissen? Und was weiß Julia eigentlich über ihre eigene Mutter? Ausreichend viel, hätte sie wohl geantwortet, bis eine alte Freundin ihrer verstorbenen Mutter bei ihr auftaucht und mit ihren Erzählungen Fragen aufwirft. Dürfen wir die gezogenen Grenzen unserer Familienmitglieder überschreiten in dem Bedürfnis, sie besser zu verstehen? Diese Frage muss sich in gewisser Weise auch Astrid stellen, als ihre alternde Tante Anlass zur Sorge gibt. Denn auch Tante Elsa hat Entscheidungen getroffen und trifft sie noch heute. Wer sind wir, uns darüber hinwegzusetzen? In gewisser Weise gibt es diese Auseinandersetzung auch gedanklich mit den eigenen Kindern und wie gut man diese als Erwachsene eigentlich kennen kann. Diese zusätzliche Dimension bietet Astrids ehemalige Nachbarin und Freundin Marli, die wieder in der Kleinstadt auftaucht und mit ihr verdrängte Missverständnisse an die Oberfläche drängen. Wie gut kennen wir denn eigentlich unsere Freunde? Wie tiefgründig sind unsere Gespräche? Versuchen wir wirklich, den Dingen auf den Grund zu gehen? Oder wird vieles nicht einfach, möglicherweise in dem Wunsch nach Harmonie, beiseite geschoben? In diesem Roman werden auf mehreren Ebenen und in verschiedenen Lebenssituationen der Protagonistinnen interessante Fragen aufgeworfen. Einiges erscheint wirklich aberwitzig, wenn man mal genauer darüber nachdenkt. Und doch ertappt man sich mehrmals dabei, dass es unsere gegenwärtige Realität gut darstellt. Es geht um Anonymität auch auf dem Land, sterbende (Kleinstadt-)Innenstädte, (unbewusstes) Nacheifern vermeintlicher Ideale, die Erfüllung von extrinsischen Vorstellungen, Bevormundung,... Die Geschichte hat keine riesige Dynamik, vermag aber durch diese Vielschichtigkeit zu fesseln. Die meisten Fragen werden von der Autorin nicht oder allenfalls zwischen den Zeilen beantwortet. Es eignet sich wunderbar zum in-sich-hineinhorchen, andererseits vermag die Erzählung rund um diese (wunderbaren) Frauen auch für sich zu stehen. Nicht alle Handlungselemente werden am Ende aufgelöst. Wen sowas stört, der wird hier am Ende der Geschichte nicht zufrieden sein. Sprachlich besonders ausgefeilt und sehr lesenswert! Fazit: Nebenan - das ist vermeintliche Nähe und doch meilenweite Entfernung. Sprachlich ein Genuss mit vielen hintergründigen, interessanten Fragen zum Zusammenleben in unserer Gesellschaft.

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