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Rezension zu
Nebenan

Nachbarschaft

Von: LiteraturReich
27.04.2022

Es sind leise, poetische, nachdenklich-melancholische Romane, die Kristine Bilkau verfasst, Die Glücklichen (2015), Eine Liebe in Gedanken (2018) und nun Nebenan. Romane, die Beziehungen ausloten, sowohl im ganz persönlichen Bereich zwischen Liebenden, in der Familie, in Freundschaften, der Nachbarschaft, aber auch im Gesellschaftlichen Bereich, in der Nachbarschaft, im Dorf, der Stadt. In Nebenan stellt Kristine Bilkau drei Frauen in den Mittelpunkt ihres Schreibens, die jeweils ungefähr zwanzig Lebensjahre voneinander trennen. Da ist zunächst einmal Julia, Ende 30, Keramikerin und mit ihrem Mann Chris vor kurzem aus Hamburg in den kleinen Ort am Nord-Ostsee-Kanal gezogen. Der Rückzug aufs Land ist verbunden mit der Hoffnung, dass sich endlich Julias sehnlicher Kinderwunsch erfüllt. Schon geraume Zeit versuchen sie und Chris mit den unterschiedlichsten Therapien, endlich eine Schwangerschaft herbeizuführen. Bisher vergeblich. Während sich der vielbeschäftigte Chris fast schon mit der Kinderlosigkeit abgefunden zu haben scheint, ist Julias Sehnsucht kaum auszuhalten. Ihr Leben und Denken scheint sich nur um das Eine zu drehen. Fast zwanghaft bewegt sie sich auf Internetforen und entsprechenden Instagram-Kanälen, die eine heile, glückliche, erfüllte Welt mit Kindern versprechen. Ansatzweise wird dieses starke Sehnen nach Familie, nach Zugehörigkeit und Verbundenheit mit einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung bei Julia erklärt. Gleichzeitig zu ihrem Bindungswunsch, kapselt sich Julia allerdings auch ziemlich von ihrer Umwelt ab, lebt in ihrer neuen Nachbarschaft eher zurückgezogen, hofft selbst im kleinen Keramikladen, den sie im Ort eröffnet hat, dass Kunden ausbleiben, sie ihr Geschäft möglichst online abwickeln kann. Gleichzeitig sind ihre Wahrnehmungen ganz wach, registriert sie die sich hinziehende Abwesenheit der Nachbarsfamilie. Die Ferien gehen zu Ende, die Schule beginnt, aber die Mutter Mona und ihre beiden kleinen Töchtern tauchen nicht auf. Im Haus sieht alles aus wie nur kurz verlassen, aber nichts tut sich, niemand kehrt zurück. Dieses rätselhafte Verschwinden bringt die erste Irritation, den ersten unheimlichen Moment in die Geschichte. Bald kommt ein Junge aufs Nachbargrundstück, der eine rätselhafte Nachricht hinterlässt. Die Post quillt aus dem Briefkasten. Und Julia lässt die Radiomeldung über eine Frau, die mit ihren Kindern im Wald verschwunden ist, nicht los. Die zweite Frau ist Astrid, die Hausärztin im Ort, schon über 60 und quasi auf dem Sprung in den Ruhestand, würde sich nur ein(e) Nachfolger:in finden. Andreas, ihr Mann, ist als Geschichtslehrer bereits in Pension und engagiert sich nur noch ehrenamtlich in der Jugendarbeit vor Ort. Auch in Astrids Leben bricht etwas Beunruhigendes, Unheimliches ein. Bei der Leichenbeschau einer alten Dame ergeben sich Ungereimtheiten und es landen beleidigende, anonyme Briefe bei ihr und ihrer Mitarbeiterin. Außerdem trauert sie der verlorenen Freundschaft zu Marli nach. Diese zerbrach, als Marlis Sohn wegen Tierquälerei im Zentrum von Ermittlungen stand. Das ist lange her, Marli ist nach vielen Jahren Abwesenheit nun zurückgekehrt, zeigt ihrer alten Freundin aber die kalte Schulter. Diese beiden anfangs eher parallel verlaufenden Erzählstränge treffen sich über die dritte Frau, die über 80 Jahre alte Elsa. Sie ist die Nachbarin von Julia, die sich um die manchmal etwas verwirrte alte Dame hin und wieder kümmert, und die Tante von Astrid. Kristine Bilkau entwickelt nun sorgfältig und empathisch die Beziehungen der drei Frauen zu sich selbst und zu einander. Das geschieht mit viel Respekt für ihre Figuren, sehr atmosphärisch und in sehr poetischer, klarer Sprache. Von Sarah Kirsch stammt das einleitende Gedicht und die norddeutsche Dichterin ist sicher mit Bedacht dafür ausgewählt worden. Beziehungen, Erwartungen an ein glückliches Leben, Solidarität und Enttäuschungen – Kristine Bilkau thematisiert Fragen des Miteinanders. Auch im sozialen Miteinander, wo Innenstädte verwaisen, Sozialzentren geschlossen werden. Wo endet Fürsorge und beginnt Übergriffigkeit? Wie wichtig ist Sicherheit? Was bedeutet uns ein Zuhause? Wie brüchig ist dieses? Was bedeutet Nähe, was Glück? Sie lässt die Fragen in der Schwebe, Antworten muss darauf wohl eine jede/ein jeder selbst finden. Die Existenz ist fragil, das Unheimliche lauert stets um die Ecke. Und doch kann man sich Nähe und auch Geborgenheit schaffen. Das wird allerdings nicht in der virtuellen Welt gelingen. „Alles hier ist getrieben von Sehnsüchten, nach einer Welt ohne Brüche. Doch niemand hier wird ihre Sehnsüchte erfüllen, im Gegenteil, ihre Sehnsüchte sind wie eine Ware, sie werden genommen, weitergereicht und verwertet, ihre Sehnsüchte sind wie ein Rohstoff, von dem andere leben, doch sie, sie wird hier nichts finden, das Bestand hat. Sie sollte nach anderen Bildern suchen, sollte sich andere Bilder ansehen.“

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