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Rezension zu
Nebenan

Ein Buch mit Macht - unbedingt lesenswert

Von: Tanja
18.07.2022

Nebenan – unbedingt wollte ich dieses Buch (ist es ein Roman? Ich weiß es nicht so genau!) lesen. Bei Luchterhand weiß man: da wartet gute Literatur. Aufgeräumte Cover, beeindruckende Sprache und ein relevantes Thema. Für solche Bücher braucht es auch immer die richtigen Momente im Leben. Literatur passt nicht immer, nicht zu jeder Zeit findet jeder Zugang. Obwohl ich dem Erscheinungstermin entgegenfieberte, brauchte ich drei Anläufe, um über das zweite Kapitel hinauszukommen. Und ich brauchte richtig lange, für ein richtig schmales Buch. Heute konnte ich es beenden, gestern reflektierte ich, was das Buch mit mir macht. Denn es macht etwas mit einem. Es bewegt, es wühlt auf. Dieses Buch hat eine unglaubliche Macht! Von Abhandensein von Geborgenheit und Vertrautheit im Großen, etwa in der Stadtentwicklung, über grundständiges Fehlen von Zugehörigkeit zu so etwas elementarem wie Familie, wie bei den Jugendlichen im Heim, über einen immer kleiner werdenden Radius führt die Autorin hin zu innerer Ungebundenheit und höchst persönlichen Sehnsüchten. Durch die unmittelbare, eindrückliche und präzise Sprache der Autorin wird das Ungebunden sein eines Protagonisten direkt auf die Leser:innen zurückgeführt. Jedes Kapitel nimmt die Leser:innen mit zu einem anderen Leben. Später, nachdem man eine Innenschau auf einzelne Protagonisten hatte oder ganz distanziert von deren Leben erfährt, ihnen zuschaut, wie sie den Ursachen ihrer Sehnsüchte auf die Spur kommen, wird auf die vorhergehenden Protagonisten zurückgeschwenkt. Das ist enorm anstrengend. Aber es vermittelt allein durch den Stil des Buches die Ungebundenheit zwischen den Protagonisten. Die Geschichte einer Person, ihr Leben, ihr Inneres, wird nicht einmal in der Story zusammengehalten. Auf diese Weise sequenziert die Autorin die Leben von normalen, eigentlich nicht wirklich spannenden, Menschen, die Nachbarschaft als gemeinsames Thema hätten. Das des Geschichtslehrers in Rente, der sich im Außen verliert und seine Zeit mit Fernsehen, Nachrichten und Problemen der Welt verbringt, aber keine Anbindung an sich, Freunde, Hobbys oder seine Ehe bekommt. Seine Frau, Astrid, steht noch mitten im Leben. Sie ist mit ihrem Eigenen so beschäftigt, dass sie die Situation des Mannes nicht richtig einschätzt, sich aber mit Ängsten trägt und das Eigene nicht zum Gemeinsamen macht. Dann gibt es eine Familie, die so wenig angebunden ist an ein soziales Netz, dass das Verschwinden zuerst gar nicht auffällt und dann --- Auch innerfamiliär zeigen sich Lücken in der Verbundenheit und Geborgenheit. Die Keramikerin ohne eigene Herkunftsfamilie, die Unerwartetes erfährt und es bei sich behält, weil es niemanden gibt, dem sie sich vertrauensvoll und in Geborgenheit zuwenden kann mit diesem Thema – obwohl sie nicht allein ist. Einmal meint man, Protagonisten nähern sich wieder an, überwinden die Ängste. Bilkau lässt auch äußerlich keinen Zweifel, dass es Versuche gibt, und trennt die Kapitel über die jeweiligen Protagonisten nur mit einem Kapitel über eine andere Figur. Sonst muss man oft mehrere Kapitel warten, bis sie wieder auf die jeweiligen Protagonisten zurück kommt. Sie zeigt damit die Dynamik von Ängsten, Sehnsucht und Verbundenheit: Es gibt keine einzuhaltende Distanz, Zeit oder Form. Zutiefst menschliche Themen entwickeln sich dynamisch. Dabei lässt sie ihre Leserschaft nicht außen vor. Ganz ohne Kitsch, Klischee und regelhaften Happy Ends hat man am Ende das Gefühl, für sich persönlich doch etwas mitgenommen zu haben. Das Buch führt gekonnt Ungebundenheit, Fehlen von Geborgenheit und Einsamkeit im sozialen Raum, im familiären Rahmen und im Inneren vor Augen. Nein, es fasst die Leserschaft an, es nimmt mit. Darauf muss man sich einlassen (können). Bilkau ist etwas ganz Großes gelungen. Ich vermute, diese Story wird mich noch eine Weile gedanklich begleiten! Große Empfehlung: NEBENAN Ein Roman von Kristine Bilkau Erschienen im Luchterhand Literaturverlag Am 8.3.2022

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