Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Nebenan

DAS VERLASSENE HAUS...

Von: parden
03.08.2022

Es ist jetzt schon einige Wochen her, dass ich diesen Roman beendet habe, und immer noch habe ich das Gefühl, mit einer Rezension der Erzählung nicht gerecht werden zu können. Kristine Bilkau hat mit ihrer Komposition, dem melancholisch-leisen Ton, dem verdichteten und dabei doch so präzise ausgeloteten Schreibsil bei mir jedenfalls einmal mehr ins Schwarze getroffen. Im Grunde ist dieser Roman eher handlungsarm. Die Perspektive wechselt stetig zwischen der Enddreißigerin Julia, die mit Mann und Hund in ein kleines Dorf am Nord-Ostseekanal gezogen ist, und der etwa sechzigjährigen Astrid, deren Mann bereits im Ruhestand ist, und die selbst darüber nachdenkt, ihre Arztpraxis zu verkaufen und nur noch wenige Tage in der Woche zu arbeiten. Der eigentliche Fokus des Romans liegt auf der Gedanken- und Gefühlswelt der beiden weiblichen Hauptcharaktere, und auch das kann ungemein spannend sein. Kristine Bilkau jedenfalls lotet hier geheime Wünsche, Sehnsüchte und Ängste aus, wodurch der Roman eine große Intensität erlangt. Als dritter Protagonist fungiert hier noch ein verlassenes Haus, dessen Bewohner, eine fünfköpfige Familie, von einem Tag auf den anderen verschwunden sind. Der Briefkasten quillt über, und vor allem Julia als direkte Nachbarin macht sich so ihre Gedanken. Hätte sie etwas bemerken müssen? Probleme der Nachbarn erkennen? Auf sie zugehen? "Eine Trennung, ein Streit um das Sorgerecht, psychische Erkrankungen, finanzielle Probleme, die meisten Familien bemühten sich doch eher darum, jede Art von Schwierigkeit so lange wie möglich mit sich allein abzumachen. Wie gut musste man einen Menschen kennen, um etwas zu bemerken, um sicher sein zu können, dass etwas nicht stimmte? Und wie konnte man sicher voneinander unterscheiden, was Vermutungen und was Vorurteile waren? Wie nah musste man einem Menschen sein, um aus einem Verdacht heraus eine Frage stellen zu können, ohne neugierig oder aufdringlich zu wirken?" (S. 74) Doch bei diesen Fragen bleibt es nicht. Wie gut kennen wir eigentlich die, denen wir nahestehen? Hält nicht jede:r Geheimnisse verborgen, die, wenn sie ans Tageslicht kommen, Bilder verändern können? Was geschieht mit uns, wenn wir obsessiv einem Lebenstraum hinterherjagen und uns darüber zu verlieren drohen? Wie sehr beherrschen Ängste das Leben und unser Handeln? Fragen, denen sich die Charaktere im Buch stellen müssen, die aber auch den/die Leser:in anrühren. Sind das nicht existentielle Fragen? Wie nebenher flicht Kristine Bilkau noch weitere Themen ein und streift Problemfelder wie die Landflucht junger Menschen, die Vergreisung ganzer Landstriche, die Verödung von Innenstädten und deren schrumpfende Attraktivität, die lieblose Maschinerie künstlicher Befruchtung, die Hoffnungslosigkeit angesichts skrupelloser Umweltverschmutzung, die Vereinsamung des Einzelnen in der Gesellschaft. So zusammengefasst erschlägt es einen beinahe, aber die Autorin bemüht sich um eine erträgliche Dosis, die allerdings den melancholischen Grundton stetig speist. Ein handlungsreduzierter, leiser aber intensiver Roman über Geheimnisse, Sehnsüchte und Ängste - reduziert im Schreibstil, dabei präzise ausgelotet. Für mich ein Jahreshighlight! © Parden

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.