Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Schilf im Wind

Großartige Naturbeschreibungen und voller Stimmungen...

Von: an_der_see
16.05.2024

Vor zwei Tagen habe ich die Lektüre von „Schilf im Wind“ von Grazia Deledda beendet und seitdem überlege ich, mit welchen Worten ich euch dieses Buch am besten näher bringen kann. Eine Herausforderung, wie ich finde. Denn dieses Buch weckt so viele Stimmungen, dass man fast darin verloren gehen und die Orientierung verlieren kann. Beim Lesen befinden wir uns auf Sardinien ungefähr im Jahre 1911, in einem kleinen Dorf, dessen Bewohner sich kennen, seit Generationen zusammen leben, wirklich etwas Neues passiert nicht, das Leben geht seinen Gang, fließt dahin, Jahreszeiten kommen und gehen, Feste werden gefeiert, es werden Kinder geboren, Menschen sterben, es wird geheiratet und geliebt. Doch egal wo auf dieser Welt, mag das Dasein auch noch so geordnet ablaufen, strengen Strukturen folgen, das Leben passiert, lässt sich nicht planen, bringt Leid und Freude mit sich, Unheil, Tod, Missgunst, Neid. Menschen verfolgen niedere Beweggründe, stellen sich über andere, es wird abgewertet und aufgewertet, man nimmt Schuld auf sich, versucht zu büßen. Menschen geraten auf Irrwege, verlieren sich selber, verlassen die Familie, brechen auf ins Ungewisse. Menschen aus der Stadt kommen ins Dorf und erzählen wie man richtig lebt, liebt und feiert, weil ja nur sie als Städter wissen, was ein richtiges Leben ist. Über all das und noch viel mehr erzählt Grazia Deledda in ihrem Buch „Schilf im Wind“. Sie lässt die Leser*innen am Leben des Knechts Efix teilhaben, an seinen drei Herrinnen, die eigentlich mal zu viert waren, doch eine hat ihre Familie verlassen um zu leben. Zurück kommt nach Jahrzehnten ihr Sohn Giacinto, wirbelt die festen Strukturen durcheinander, bringt Verwirrung und Herausforderungen mit sich. Es werden Schulden gemacht, die nicht bezahlt werden können, es werden Lösungen gesucht, wo es keine gibt, es werden neue und andere Wege gegangen. Unerwiderte Liebe ist ein großes Thema in diesem Roman, nicht gelebte Liebe, auch das Verkümmern in den Strukturen, wenn man doch ausbrechen möchte. Doch wie soll das gelingen, wenn man kein anderes Leben kennt, keines vorgelebt bekommen hat. Diejenigen die dann doch ausbrechen, werden als Feindbilder betrachtet, aus der Gemeinschaft für immer ausgestoßen. Dieses Verhalten gab es immer schon und ich befürchte, dass es das auch in Zukunft immer geben wird. In einer festen Familienstruktur anders zu sein, anders zu fühlen, zu hoffen und zu wünschen als alle anderen, führt nicht selten zu Einsamkeit und Kummer. Jetzt stellt sich mir die Frage, ob ich diesen Roman als düster empfunden habe. Könnte man annehmen, nach den voran gegangenen Zeilen. Mehr beklemmend als düster und durch die Landschaftsbeschreibungen und Wetterimpressionen doch auch heiter hell. Die Beschreibungen der Hitze Sardiniens im Hochsommer, der Granatapfelbäume, des Schilfes, der Flüsse, der staubigen Wege, haben mich sehr beeindruckt und genau diese Landschaftsbeschreibungen waren es auch, weswegen ich dieses Buch lesen wollte. Man spürt beim Lesen selber die Hitze, riecht die Granatäpfel, hört das Schilf rauschen, spürt den Durst während man über verstaubte Wege geht, drückend heiß die Sonne, flirrend das Licht, dann die Erfrischung eines rauschenden Flusses, die Erlösung durch einen Schluck kühlen Wassers. An dieser Stelle sei gesagt, dass „Schilf im Wind“ nichts für Menschen ist, die Naturbeschreibungen in Romanen nicht mögen, denn diese nehmen einen Großteil des Textes ein, sind ausufernd, intensiv und man kann in sie so versinken, dass man das eigentliche Geschehen beinahe wie durch einen Nebelschleier verfolgt und beobachtet. Ich habe die Lektüre als sehr gemächlich empfunden, es passiert sehr viel, aber alles sehr gemäßigt, ohne Action, ohne TamTam. Ich würde meinen, dass dieses Buch eher etwas für ruhige Gemüter ist, denen es in Büchern nicht sehr wichtig ist, dass sehr viel in sehr kurzer Zeit passiert, die Strecken aushalten die sehr unaufgeregt voran schreiten. Obwohl Jahre später und auf einem anderen Kontinent, von einem Mann geschrieben und über andere Themen erzählend, erinnert mich „Schilf im Wind“ ein wenig an „Licht im August“ von William Faulkner. Aus diesem Buch habe ich Stimmungen mitgenommen, weniger Handlung und ich glaube mit „Schilf im Wind“ wird es mir ähnlich ergehen. Vielleicht werden die Figuren nach einer Zeit verblassen, vielleicht werde ich ihre Namen vergessen, aber das Gefühl wird bleiben, diese ganz besondere Stimmung und wenn ich in Zukunft einen Granatapfel essen werde, so werde ich auch gleichzeitig an „Schilf im Wind“ denken. Ich kann es nicht genau erklären, aber ich habe das Gefühl, als wenn dieses Buch eher ein Sommerbuch ist. Vielleicht auch deshalb, weil das Licht und die Wärme um einen herum, diesem Buch ein wenig seine Schwere nehmen könnte? Denn eine gewisse Schwere bringt dieser Roman mit sich. Passendere Worte für einen Abschluss als folgende Textstelle finde ich nicht, in diesem Sinne: „ „Warum bricht uns das Schicksal, wie der Wind das Schilf bricht?“ „Ja“, sagte Efix da, „wir sind tatsächlich wie das Schilf im Wind, liebe Donna Ester. Genau deshalb! Wir sind das Schilf, und das Schicksal ist der Wind.“ „Ja gut, aber warum ausgerechnet dieses Schicksal?“ „Und dieser Wind, warum dieser Wind? Gott allein weiß es.““

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.