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Rezension zu
So war's eben

Gesellschaftspanorama...

Von: an_der_see
27.06.2024

Nach den letzten Seiten von „So war´s eben“ von Gabriele Tergit fühlte ich mich wie nach einer anstrengenden Sporteinheit. Aus der Puste, glücklich es geschafft zu haben, froh darum durchgehalten zu haben. Eine Sporteinheit die man nur bis zum Ende absolviert, wenn man aus Erfahrung weiß, dass sie dem Körper gut tut. Dieses Buch war für mich Krafttraining und Ausdauersport zu gleich. In „So war´s eben“ erzählt Gabriele Tergit über das Leben von verschiedenen Familien in den Jahren von 1898 bis in die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhundert hinein. Ein beeindruckendes Panorama menschlichen Daseins vom Kaiserreich, über den ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit all seinen Schrecken, den zweiten Weltkrieg und die Zeit danach. Ein Gesellschaftsroman mit Akteuren aus verschiedenen sozialen Schichten, mit unterschiedlichem politischem und religiösem Hintergrund. Ein Zusammenspiel der verschiedensten Charaktere, das dieses Buch nachhaltig in Erinnerung lassen wird. An dieser Stelle sei gesagt, dass „So war´s eben“ wenig Ähnlichkeit mit Gabriele Tergits Roman „Effingers“ hat. Die Themen ähneln sich zwar, auch der geschichtliche Hintergrund ist der Gleiche, aber der Aufbau, das Arrangement der Figuren können für mich nicht unterschiedlicher sein und nach meinem Empfinden braucht es für „So war´s eben“ wesentlich mehr Leseausdauer und Durchhaltevermögen. Das ist kein Buch, dass man mal eben nebenbei zur Unterhaltung lesen kann. Ich konnte es zumindest nicht. Und wenn ich jetzt, ungefähr 24 Stunden nachdem ich die letzte Seite gelesen habe, über dieses Buch und die auftretenden Figuren nachdenke, schwirrt mir noch immer der Kopf. Zum Glück werden die mitwirkenden Personen im Anhang aufgelistet, wer zu wem gehört, wer wen heiratet, wer mit wem verschwägert ist, welche Kinder zu wem gehören. Auf den ersten ungefähr 50 Seiten war ich mehr mit diesem Personenverzeichnis beschäftigt, als das ich in der Handlung vorangekommen bin. Ich wollte verstehen und die einzelnen Personen zuordnen können. Irgendwann habe ich das aufgegeben, habe den Text gelesen und auf mich wirken lassen. Ich habe mal nachgezählt, es treten ungefähr 76 Personen auf und gefühlt nicht nacheinander, sondern über Seiten oft gleichzeitig. Ich kam mir seitenweise vor, als säße ich in einer großen Halle, in der an verschiedenen Tischen und von Tisch zu Tisch geredet würde. Mit Nachwort hat das Buch 617 Seiten und davon sind gefühlt 80 Prozent Dialoge. Teilweise fühlte es sich an, als würden alle durcheinander reden, jeder darauf bedacht nur seines zu erzählen, die Themen sprangen innerhalb einer Zeile. Genauso wie die auftretenden Personen, eben war noch von Grete die Rede und schwups plötzlich waren wir wieder bei Klawotzky, von den von Rumkes hin zur Familie von Amtsrichter Julius Mayer, es schaute Randelhofer vorbei und Manfred Markus meldete sich auch zu Wort. Nachdem ich beschlossen hatte, den Text „nur“ noch auf mich wirken zu lassen, baute sich mir dann langsam das Gesellschaftspanorama auf, das mich durch die Zeiten geleitete und welches dieses Buch für ich zu etwas Besonderem und literarisch Wertvollem werden ließ. Erschreckend die Parallelen der damaligen Zeit zur heutigen Zeit, darüber zu lesen was war und was jetzt wieder anfängt, das Bewusstsein darüber, dass eine gewisse politische und gesellschaftliche Entwicklung sich wiederholt. Hilflosigkeit damals und beginnende Hilflosigkeit auch heute wieder. Und damals wie heute gibt es die Menschen, die glauben besser zu verstehen als andere, mehr den Durchblick zu haben und andere Menschen ständig belehren zu müssen, wie man doch richtig denken und leben und handeln sollte. Nicht nur von daher fand ich „So war´s eben“ sehr authentisch. Das was mich zum Anfang abschreckte und auch überforderte, die vielen Menschen, die vielen Sprünge, Themenwechsel, Ortswechsel, ist letztendlich genau das, was diesem Roman eine Lebendigkeit gibt, die ich in ähnlicher Form in nur wenigen Büchern gefunden habe. Beim Lesen schaut man auch in die Lebens- und Wohnräume der Personen, als wenn man durch eine Kulisse des letzten Jahrhunderts wandelt. Wessen Wohnungen waren wie eingerichtet, wer hat was getragen, was war wann modern und erstrebenswert. So viele Facetten, so viele Farben, Muster und Strukturen die man bei der Lektüre erlebt und kennenlernt. Bei alldem durchlebt man im Laufe der Seiten die Wandelbarkeit und Vergänglichkeit des Lebens, aber auch das Festhalten an Altem, das Ignorieren von Neuem. Am Ende der Lektüre stellte sich mir die Frage, wie oft im Leben kann man sich neu erfinden, wie oft kann man sich verlieren und wieder finden, wie veränderbar ist der Mensch. Jeder Mensch hat seine Zeit und was bleibt von einem Menschen, wenn ihm seine Zeit geraubt wird? „So war´s eben“ von Gabriele Tergit war für mich eine große Herausforderung und gleichzeitig eine große Bereicherung, ein Buch an dem man menschlich wächst und nach dessen Lektüre man ein Stück weit mehr versteht und sieht. In diesem Sinne, schaut nicht weg und versucht zu verstehen.

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