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Rezension zu
Der Untergang der "Wager"

Ein Geschichtsbuch und zugleich ein überaus dramatischer Thriller

Von: Andreas
03.05.2024

Ein Geschichtsbuch und zugleich ein überaus dramatischer Thriller: David Grann ist ein Meister darin, historische Ereignisse derart lebensnah und authentisch darzustellen, dass man richtiggehend in das Geschehen hineingezogen wird. Ob man will oder nicht. Es war das Jahr 1740: 2000 Mann brachen in England aus auf, nur ein paar hundert kehrten, Jahre später und auf unterschiedlichen Wegen, zurück. Der Auftrag, den die kleine Flotte unter dem Kommando von Commodore Ansom hatte, war, spanische Schiffe aufzubringen und die dort geladenen Schätze für die englische Krone zu sichern. Schon der Aufbruch verzögerte sich um Wochen und dann verhinderten die Winde, dass die Fahrt über den Atlantik zur Südspitze Südamerikas in der geplanten Zeit vonstattengehen konnte. Dort angekommen, traf Ansom die Entscheidung, nicht die bereits erkundete Magellan-Straße zu befahren, sondern die noch weitaus gefährlichere Route über Kap Hoorn zu nehmen. Eine Entscheidung, die für die Besatzungen und für die Schiffe fatale Folgen haben sollte. Zum einen schafften es die Schiffe mit der damaligen Ausrüstung nicht, konsequent gegen die Strömung, die enorme Dünung und die heftigen Stürme zu segeln und zum anderen waren Navigation und Standortbestimmung noch weit davon entfernt, genaue Ergebnisse zu liefern. So wussten der Commodore und die Kapitäne der Flotte meist nicht, wo sie sich befanden. Eines der Schiffe war die Wager unter dem Kommando von Kapitän Cheap. Wie auch an Bord der anderen Schiffe wurde die Mannschaft der Wager wegen der immer länger andauernde Fahrt ein Opfer von Skorbut, immer mehr Männer starben daran und anderen Erkrankungen. Es wurde von Tag zu Tag schwieriger, mit der reduzierten Mannschaft zu manövrieren und dazu auch noch die immer umfangreicheren Schäden am Schiff zu beheben. Als endlich die Südspitze des Kontinents umschifft war, strandete es die Wager, inzwischen hatte man den Kontakt zur restlichen Flotte verloren, vor einer kleinen Insel, die später den Namen Wager Island erhielt. Dabei wurde das Schiff völlig zerstört. Damit ist David Grann beim zentralen Thema des Buches angelangt: wie verhalten sich Menschen, die völlig auf sich allein gestellt und beinahe ohne Hoffnung sind, jemals aus einer schier hoffnungslosen Lage entkommen zu können. Man liest von Streitigkeiten, die in Gewaltausbrüchen mündeten, vom Versuch des Kapitäns, seine Autorität mit der Waffe durchzusetzen. Es entstanden Gruppen, die regelrecht verfeindet waren und unterschiedliche Wege gehen wollten – Revolten, Plünderungen und Meuterei waren unvermeidbar. Dabei forderte das Leben auf der Insel immer mehr Opfer, denn schon die Suche nach Nahrung verlangte den Männern alles ab. Diese dramatischen Szenen lesen sich wie eine Live-Reportage von der Insel, man versteht die Verzweiflung der Menschen und die Ausweglosigkeit der Situation, als wäre man selbst dabei. Es ist eine großartige Beschreibung von Lebensumständen, die man sich niemals vorstellen könnte, ist man nicht selbst in solch einer Lage. Grann setzt diese „Reportage“ aus den Tagebucheintragungen und Erinnerungen einiger der Überlebenden zusammen und ergänzt alles mit dem, was man später erfuhr und was auch Grann selbst in Erfahrung brachte, als er im Zug der Recherchen zum Buch die Insel betrat. Wenn Grann dann das Geschehen aus den so unterschiedlichen Perspektiven einzelner Beteiligter beschreibt, dann wird auch deutlich, wie subjektiv und abweichend Erinnerungen an ein und dasselbe Ereignis sein können. Was davon die tatsächliche Wahrheit ist, lässt sich oft nicht abschließend klären. Ein weiterer Aspekt ist das Selbstverständnis, mit dem die Europäer auftraten. Einheimische wurden als Wilde, oft als Kannibalen, meistens als minderwertige Menschen betrachtet und als solche behandelt. In grenzenloser Überheblichkeit glauben die meisten der Europäer (gleich ob Engländer oder Spanier oder andere), dass die Einheimischen den Weißen unterlegen wären, man konnte sie nach Belieben bestrafen, maßregeln oder als Sklaven verkaufen. Dabei war es, bei den Überlebenden der Wager kam das mehrmals vor, genau umgekehrt. Ohne die Hilfe der Einheimischen hätte wohl keiner der Schiffbrüchigen den Weg zurück nach England gefunden. Wenn Barack Obama dieses Buch als eines seiner Favorite-Books aus dem Jahr 2023 bezeichnet, dann verstehe ich das völlig; es ist eines meiner Favoriten 2024. "Der Untergang der Wager" ist wirklich ein großartiges Buch, das ein historisches Ereignis voller Dramatik enorm wirkungsvoll beschreibt. Wüsste man nicht, dass alles das stattgefunden hat, wäre es auch ohne den geschichtlichen Hintergrund ein Thriller mit Bestseller-Potential.

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