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Rezensionen zu
Mittagsstunde

Dörte Hansen

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Kurzmeinung: Ein wundervoller, atmosphärischer Roman über das Leben auf dem Dorf, über Liebe, Einsamkeit und das Altwerden. Das alles verpackt in poetischer Sprache, gespickt mit schönen Metaphern und wohlklingenden Sätzen auf Plattdeutsch. Große Leseempfehlung, auch wenn das Buch für mich nicht ganz an das Debüt "Altes Land" heranreichen kann. Aber da liegt die Messlatte auch wirklich hoch. Meine Meinung: Wieder ein wundervoller Roman von Dörte Hansen, auch wenn er mich nicht ganz so sehr begeistern konnte, wie ihr Debüt "Altes Land". Doch auch hier hat mir wieder die charmante Darstellung der Dorfbewohner*innen und die Idylle des Dorflebens, ohne es jedoch zu romantisieren, sehr gut gefallen. Hansen beschreibt den Wandel, den norddeutsche Dörfer in den letzten Jahrzehnten erlebt haben und die Herausforderungen, vor die es die Bauern/ Bäuerinnen und Dorfbewohner*innen gestellt hat. Sie fängt die Stimmung, das Lebensgefühl der alten nordfriesischen Dörfer sehr gut ein. Das etwas Mürrische, Ursprüngliche, Echte. Aber das Landleben wird nicht idealisiert. Es werden auch die Entbehrungen beschrieben, die damit einhergehen. Sie fängt auch die Dynamiken des Zusammenlebens und den Geist der Gemeinschaft sehr gut ein. Die Engstirnigkeit und die Vorurteile, die in der kleinen Dorfgemeinschaft herrschen. Das Getratsche, aber auch den Zusammenhalt. Auch die poetische Sprache und die eingestreuten Sätze auf Plattdeutsch haben mir unglaublich gut gefallen. Und der norddeutsche Humor. " >>Sind je Lungentorpedos, wat du dor smöökst.<<, sein Lachen ging in einen schweren Hustenanfall über. Er wusste offenbar, wovon er redete." (S. 79) Bei den schönen Klängen dieser Sätze habe ich direkt Lust bekommen, mein Plattdeutsch endlich mal wieder etwas aufzufrischen und zu vertiefen. Auch sonst hat mich die Sprache in diesem Roman absolut verzaubert. Ich habe mir viele Sätze im Buch markiert, die mich sehr berührt haben. Das Buch steckt voller schöner Metaphern und Vergleiche. Schüler*innen werden als "kleine Saatkartoffeln" bezeichnet, die "aus dem sandigen Boden gerüttelt und ins Gymnasium gesteckt werden, damit aus ihnen mal was wird." (S.21). Oder die Beschreibung von Erstsemestern, die "sich mit ihren Bücherlisten durch die Gänge [der Bibliothek] wühlten wie Frischlinge durchs Unterholz." (S.19). Auch die Passagen über die Altenpflege und wie Ingwer seine Eltern pflegt, haben mir so manches Mal die Tränen in die Augen getrieben. So feine Beobachtungen, die Gefühle so gut eingefangen. Und dann immer der Gedanken, dass es uns allen einmal so gehen wird. Vorher selbstständige Menschen, Menschen zu denen wir aufgeschaut haben, die uns Halt gegeben haben, die nun Hilfe für die einfachsten Dinge brauchen. Die dann unseren Halt brauchen. Das man sich die Anstrengung, das Mitleid, die Traurigkeit nicht ansehen lassen darf. Das alles beschreibt Dörte Hansen so ehrlich und dabei so einfühlsam, dass es mich wirklich tief berührt hat. Sehr interessante Gedanken stecken in diesem Roman auch über das Thema Einsamkeit und Beziehungen. Darüber, was man will im Leben. Über die Entscheidungen, die man trifft. Und vielleicht später bereut. Sie beschreibt Paare, die sich nicht mehr lieben, sich nicht mal mehr in die Augen schauen mögen. Die nur noch aus Gewohnheit oder Angst vor dem Alleinsein zusammen sind. Aber auch Paare, die schon so lange zusammen sind, dass ein Leben ohne den anderen unmöglich erscheint. Die sich die Zärtlichkeit und die Liebe bewahrt haben, auch wenn sie sich über die Jahre verändert hat. Fazit: "Mittagsstunde" von Dörte Hansen ist ein wirklich guter Roman mit tollen Themen und schöner Sprache, den ich sehr gern gelesen habe. Sätze aus dem Buch haben mich noch lange begleitet und mir Stoff zum Nachdenken gegeben. Dennoch hat mich die Geschichte ingesamt nicht ganz so verzaubert, wie "Altes Land". Aber zugegeben: das ist auch wirklich eine sehr hohe Messlatte. Empfehlen kann ich euch "Mittagsstunde" allemal.

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Man braucht als Autorin ein Alleinstellungsmerkmal, das ihn im Meer der Neuerscheinungen zu etwas Besonderem und Verkaufsreichem macht. Dörte Hansen hat ihre in ihrem Debüt-Roman "Altes Land" gefunden und nun erfolgreich in "Mittagstunde" entwickelt. Mit narrativen und stilistisch einfachen Mitteln schafft es eine Atmosphäre, die Hunderttausende von Lesern fasziniert, die in einer chaotischen und verwirrenden Welt nach Frieden, Heimat und Gewissheit suchen. Im Zentrum der Roma steht Brinkebüll, ein fiktiver Kaff in der schleswig-holsteinischen Pampa, der in den sechziger Jahren durch eine großflächige Flurbereinigung einem bis heute andauernden Strukturwandel unterworfen wurde. Gerade zu diesem Zeitpunkt war der geistig behinderte Marret "Übergang" Feddersen im Alter von siebzehn Jahren von einem der anwesenden Vermesser schwanger und brachte Ingwer zur Welt, den Protagonisten der "Mittagsstunde". Er dachte nicht einmal daran, die Farm seines Großvaters zu übernehmen und floh nach Kiel, um am Ende seines Abitur zu studieren. Jetzt nähert er sich den 50ern, lebt noch in einer WG, kifft, hält alles in Beziehungsfragen offen und arbeitet wenig erfolgreich an der Uni. Im Rahmen eines Sabbaticals kehrt er nach Brinkebüll zurück, um sich um seine Großeltern zu kümmern, für die er wie ein Sohn war. Ella ist jetzt wahnsinnig und aggressiv, Sönke geistig noch am Damm, aber körperlich ein Wrack. Beste Voraussetzungen also, um zu klären, was Sie wirklich vom Leben wollen. "Noon Hour" ist kein naiver ländlicher Fluchtkitsch, der das Leben im Dorf als die einzige dem Menschen angemessene Lebensweise feiert. Im Gegenteil, das Leben in Brinkebüll wird als gnadenlos brutal dargestellt: Der Lehrer schlägt, die Eltern schlagen, jeder schaut weg, jeder imprägniert jeden und jeder spielt dieses Spiel, und der normale Alkoholiker ist immer eine gute Sache. Und doch gibt es ein Gefühl der Melancholie, der Melancholie über eine Lebensform, die zum Untergang verurteilt ist, eine Lebensform, die kaum jemand zurückhaben möchte, die aber in Zeiten einer hyperbeschleunigten Gegenwart immer noch eine gewisse Ausprägung zu haben scheint Charme auf die Leserschaft. Die Atmosphäre in diesem Spannungsfeld verleiht dem Roman das gewisse Etwas, das ihn zu Recht an die Spitze der Bestsellerlisten katapultierte.

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Die Kunst, den Alltag treffend zu beschreiben, und die Leserschaft dennoch bei Laune zu halten, beherrschen nur wenige Autoren. Oft werden lieber ganz besondere Momente im Leben der Protagonisten ins Zentrum des Buches gerückt oder dramatische Ereignisse thematisiert. Das Alltagsleben, das Banale, Normale, das ja oft langweilig sein mag, aber manchmal gerade in seiner Monotonie fast schon wieder skurril-spannend sein kann, zu skizzieren, vermag nicht jeder. Dazu muss man genau beobachten, ohne zu beschönigen, entlarven, ohne zu verletzen und sich selbst zurücknehmen. Dörte Hansen ist eine echte Künstlerin in diesem Metier. Bereits ihr Überraschungs-Erstling „Altes Land“, der gleich ein Bestseller wurde, hatte genau diese Alltagsthematik zum Inhalt. Damals waren es die Hamburger Stadtwesen, die beim Besuch im vermeintlich idyllischen Alten Land von der Romantik übermannt wurden und die angesichts der Urwüchsigkeit der dortigen Landschaft beschlossen, alle Zelte in der grauen Großstadt abzubrechen, um aufs Land zu ziehen. Sie scheiterten grandios als Zugereiste in der kargen, schroffen Obstplantage Hamburgs … In ihrem voll Spannung erwarteten zweiten Roman „Mittagsstunde“ nimmt Hansen vordergründig ein sehr ähnliches Thema zum Gegenstand ihrer Beobachtungen. Wieder geht es um das ländliche, norddeutsche Leben, das in krassem Gegensatz zum städtischen Leben steht. Brinkebüll heißt das kleine Geestdorf, das im Zentrum ihres Romans steht. Der Ort ist frei erfunden – man sucht ihn vergebens auf der Landkarte -, doch er könnte überall auf dem platten Land in Norddeutschland wirklich vorkommen. Eingerahmt von karger Landschaft, von Äckern und Feldern, die immer weniger bewirtschaftet werden. Bauer sein ist kein Spaß. Man muss verzichten können, auf den normalen Luxus anderer Berufe, Kühe wollen gemolken und gefüttert werden, ausschlafen ist da nicht. Kein Job für Feiglinge. Ingwer Feddersen kommt aus diesem Kuhnest, doch, wie den meisten jungen Leuten, wurde es ihm zu eng dort, er zog aus, studierte, kam immer seltener zurück, promovierte, wurde Hochschullehrer für Archäologie und blieb in der Stadt. Den Kontakt brach er, im Gegensatz zu manch anderen, nicht ab, denn er war nicht voller Groll auf seine alte Heimat fortgegegangen. Ingwer, im besten Midlife-Crises-Alter, beantragt an seiner Universität ein Sabbatical, also eine kreative Auszeit vom alltäglichen Wahnsinn. Zu seinem großen Glück wird der Antrag bewilligt und er kann seiner Sackgassen-Beziehung mit einer egomanischen Architektin und den sturen Studenten entfliehen. Zumindest auf Zeit. Er beschließt, „die Alten“ zu pflegen, die in Brinkebüll die Dorfkneipe betreiben, obwohl sie beide schon steinalt sind. Eigentlich wäre er der legitime Nachfolger gewesen, der designierte Wirt des „Dorfkrugs“. Doch er war ja ein Bücherwurm, interessierte sich mehr für Wissenschaft als für die Dorfwirtschaft, war klug, aufstrebend, neugierig – so gar nicht interessiert daran, in diesem kleinen Nest zu versacken. Die Alten haben es ihm nie ganz verziehen, dass er sie im Stich ließ – doch was sollten sie tun. Sie waren ja froh, dass „de Jung“ überhaupt noch ab und zu vorbeischaute. „Die Alten“ sind Ingwers Großeltern. Trotzdem nennt er sie Vadder und Mudder. Seine leibliche Mutter heißt Marret und ist ein verwirrtes Menschenkind. Die Tochter von „den Alten“. Überall sieht sie Zeichen, hat Vorahnungen, die sie meist gegen den Willen der Zuhörer allen und jedem kundtut, der ihr über den Weg läuft. Sie kann schlecht an einem Ort sitzen bleiben, lieber schlurft sie durch die Gegend, klappert auf ihren Holzpantoffeln durch das Örtchen und schnackt mit den Leuten. Marret Ünnergang wird sie nur genannt, denn über wenig anderes redet sie, als über den bevorstehenden „Untergang“. Marret war 17 als sie schwanger wurde, wer der Vater ist, hat sie nie verraten – doch das Dorf hat da so eine Ahnung. Zu der Zeit gab es nämlich drei Landvermesser, die im Dorfkrug ein und ausgingen – sicher war einer dieser jungen, feschen Herren der „Übeltäter“. Marret Ünnergang kümmert sich auf ihre Weise liebevoll um den kleinen Jungen, doch eine wirkliche Mutter kann sie nicht sein, zu sehr ist sie mit sich und ihren eigenen Absonderlichkeiten beschäftigt. Und so rücken Vadder und Mudder immer stärker in die Elternrolle. Für den aus dem Krieg zurückgekehrten und an Seele und Leib verwundeten Vadder Sönke ein echtes Glück – Ingwer ist für ihn der Sohn, den er nie hatte. Und so fehlt es Ingwer an nichts. All das, die ganze norddeutsch-zurückhaltende Zuneigung, ja sicherlich sogar Liebe, möchte er den beiden Alten nun als Erwachsener zurückgeben. Er will ihnen den Gang ins Altersheim ersparen und kümmert sich nach Beginn des Sabbaticals hingebungsvoll um die beiden. Rührend ist das und anstrengend. Mudder Ella ist dement, muss wie ein kleines Kind rund um die Uhr bewacht und beschäftigt werden, Sönke hingegen ist fit, nur der Körper ist allmählich zu alt für all das, was der Geist noch könnte. Ingwer hilft bei allem und kehrt so wieder zurück in den Schoß der Dorfgemeinde. Im Wirtshaus treffen sich alle, er kriegt viel mit, trifft alte Weggefährten wieder. Philosophisch wird es dann immer wieder, denn wer ist denn nun selbstbestimmter – er, der fortging, oder die, die blieben? Da gibt es ganz unterschiedliche Gestalten, zum Beispiel den Cowboy-Fan Heiko, der früher immer windelweich geschlagen wurde von seinem Vater. Alle wussten es, aber keiner tat etwas, um dem armen Kerl zu helfen. Doch Heiko fand seinen eigenen Weg aus der Misere: Sein erklärtes Lebensziel war es, dem Vater nicht die Genugtuung zu geben, Schmerz, Trauer oder gar Angst in seinem Gesicht lesen zu können. Er ertrug stoisch all das Leid. Er überlebte das ganze Drama – und, man freut sich als Leser mit ihm – er blieb wohl weitgehend seelisch unverletzt durch seine eigene Umgangsweise mit diesem miesen Vater. Heiko ist so schräg wie früher, doch er macht sein Ding. Ganz cool. Er leitet eine Line-Dance-Gruppe. Er leitet sie! Das kleine Würmchen von früher stellt sich an die Spitze einer Gruppe und macht ihnen etwas vor. Und, was Ingwer noch mehr erstaunt: er ist wirklich talentiert! Und er hat seine große Liebe gefunden. „Dat Heupeerd“, wie Sönke sie gnadenlos hinter vorgehaltener Hand Ingwer gegenüber nennt. Eine wenig attraktive, korpulente Rothaarige, deutlich größer als Heiko – doch mit dem Herzen am rechten Fleck. Sie umsorgt ihren „Cowboy“ liebevoll und wenn die beiden zusammen tanzen, sind sie fast wie Ginger und Fred … nun ja … fast 😉 Doch Ingwer sieht, was Heiko hat und er nicht: eine liebevolle Partnerschaft, ein Hobby, in dem er voll aufgeht, und eine Gruppe zu der er gehört – kurz: ein ausgefülltes Leben! Dörte Hansen springt in ihrem Roman kapitelweise zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her – auf sehr gekonnte Weise. So erfährt die Leserschaft viele liebevoll beobachtete Begebenheiten aus dem Dorfalltag, seien sie von früher, seien sie von heute. Und obwohl manche Figur nur für ein Kapitel auftaucht, schafft es die Autorin, die Persönlichkeiten so zu skizzieren, dass man sich ihnen nah fühlt. Wenn ihnen dann überraschend etwas zustößt, fasst einen das ganz schön heftig an. Doch es wäre eben nicht Dörte Hansen mit ihrem nüchtern-norddeutschen Blick auf die Dinge, wenn solche Vorkommnisse, Dramen und Tragödien des Alltags nicht auch thematisiert werden würden. Hier wird das (Land-) Leben realistisch beschrieben, ohne jeden Kitschfilter. Am Ende steht über allem die Frage der persönlichen Einstellung zum Gang des Lebens. Und so legt die Autorin ihrem Protagonisten Ingwer ein paar schöne, schlichte und sehr wahre Gedanken zurecht: Die Zeit der Bauern ging zu Ende. Man blies das Feuer aus, man brach die Zelte ab und ließ die Sesshaften zurück. […] Zeitalter fingen an und endeten, so einfach war das. Für einen, der vom Fach war, hatte er erstaunlich lang gebraucht, das zu kapieren. […] Und so ist es wohl: Liest man das großartige Buch, wird man stellenweise melancholisch und möchte sie fast miterlebt haben, diese Zeit, in der alles noch wirklich von Hand gemacht wurde auf dem Land. Als der Bauer keine Massentierhaltung haben musste, um sich zu finanzieren. Als ehrliche Arbeit noch ehrlich wertgeschätzt wurde. Doch wenn man weiterüberlegt und ehrlich bleibt, weiß man, dass dies immer nur die eine Seite der Medaille war. Die andere war die dunkle, anstrengende, ungehobelte Seite … Es ist also einfach, wie es ist. Etwas geht zu Ende oder ist schon zu Ende gegangen und man kann es nicht rückgängig machen. Aber wo eine Tür geschlossen wird, geht eine andere auf und so bleibt alles beständig in Bewegung – auch auf dem nordfriesischen Land.

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Dieser Roman hat es mir nicht leicht gemacht ihn zu lieben. Vor einigen Tagen, nach 70 Seiten habe ich es abgebrochen, mit der Gewissheit, das ist nichts für mich. Aber irgendwann blieb hängen, halte nach... also griff ich erneut dazu. Ganz von vorne, mit mehr Ruhe. Und dann hatte es mich gepackt und nicht mehr losgelassen. Dörte Hansen erzählt eine Geschichte die tief berührt. Die Geschichte eines norddeutschen Ortes. Etwas skurril, schonungslos und unfassbar fesselnd. Ich habe dieses Buch einfach nur genossen. Geweint, gelacht mit vorgehaltene Hand und verstanden. Jeden der Protagonisten ins Herz geschlossen, ich weiß gar nicht wer mir der liebste war.

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Ich wohne in einem kleinem Dorf auf dem Land, es ist nicht flach und karg wie in Dörte Hansens Brinkebüll, das waldigwiesige hügelige Gegenteil, und auch das Idiom unterscheidet sich gewaltig. Bei uns am Schwarzwald/Heckengäurand sprechen sie Schwäbisch, dessen Auswirkungen auf die Mundmuskulatur eher an Wiederkäuer erinnert, das norddeutsche Platt erscheint da schon sehr fremdartig. Als Südländerin muss ich, wenn die Autorin ihre Figuren Platt schnacken lässt, extrem aufpassen um mir das Gehörte zusammenzureimen, aber meist funktioniert es. Dankenswerterweise spricht die großartige Hannelore Hoger meist auf Hochdeutsch. Was sie da erzählt ist eine wunderbare Geschichte, der man lange und mit Hochgenuß lauschen kann. Verschmitzt, ernsthaft, realistisch, todtraurig, lebensprall zieht hier das Dorfleben von früher bis heute an einem vorbei. In der Hauptrolle Ingwer Feddersen, knapp 50, ein echter Dorfjunge, der sich einst aufgemacht hatte, um Professor zu werden und nun sein Sabbatical nimmt, um seine Großeltern „Vadder“ Sönke und „Mudder“ Ella zu pflegen. Sie haben ihn großgezogen, nachdem sich ihre Tochter, seine ledige junge Mutter, als ungeeignet erwiesen hatte. Es ist weniger eine Schuld die er abträgt, mehr eine freiwillige Selbstverpflichtung, die seiner weiteren Orientierung der Lebensrichtung dienen soll. Durch seine Augen erleben die Hörer das Dorf von annodunnemals bis heute. Ingwer schleppt so einiges mit sich, ganz befreit vom Dorf hat er sich nie, es ist in ihm, ebenso wie die fürchterlichen Schlager-Ohrwürmer, die ihn, passend zu jeder Lebenssituation, begleiten und auch nicht durch seinen geliebten Neil Young zu ersetzen waren. Zäsuren wie die Flurbereinigung, unerwartete Tode, alltägliches Leben nach den Jahreszeiten, das ewige Rackern, der Wind und das Klima, fast lullt es einen ein wenig ein, macht duldsam und so genügsam wie die Bauern auf der Geest, bis zum nächsten Ereignis, das Dörte Hansen den Bewohnern und Ingwer auftischt. Ihre leicht skurrilen, dabei authentisch anmutenden Charakterskizzen sind so bildhaft, dass die Menschen scharf und klar hervortreten, lebhaft präsent sind. Intelligent, auf den Punkt, feinsinnig humor- und respektvoll wird da geschildert, wie sich das Dorfleben abspielt und sicher nicht nur in Brinkebüll, wo die Mittagsstunde noch sakrosankt ist … So verwundert es nicht, dass diese ruhige und doch ausschweifende Erzählung eine Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis erhielt. Ginge es nach mir dann hätte ihn Mittagsstunde. Ohne meine Mitbuchstoffsüchtige und Kumpanin „Das lesende Satzzeichen“ wäre mir dieses dörflich, literarische Kleinod fast entgangen. Daher herzlichen Dank für deine ausnehmend verlockende und bezaubernde Besprechung des gedruckten Exemplares und eine tiefe Verneigung vor Dörte Hansens Kunstfertigkeit. Es ist mein erster Roman von ihr, ich habe viel geschmunzelt, ergriffen gelauscht, laut gelacht, war tief berührt und habe diese 9 CDs unglaublich genossen. Freue mich schon auf ihren Erstling und weitere Bücher, die hoffentlich folgen.

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Ingwer Feddersen, Archäologe und Hochschullehrer, lebt mit seinen fast 50 Jahren noch immer, wie vor 25 Jahren, in einer Kieler Wohngemeinschaft. Er beschließt eine Auszeit zu nehmen um seine Großeltern Ella und Sönke, die ihn wie einen Sohn aufgezogen haben, zu betreuen. Die beiden leben in dem fiktiven nordfriesischen Örtchen Brinkebüll. Ella vergisst langsam aber sicher ihr komplettes Leben und Sönke, der mit über 90 Jahren immer noch seinen Gasthof für einzelne Stammgäste bewirtschaftet, hat wohl ebenfalls seine besten Zeiten hinter sich. Ingwer erkennt die alte Heimat kaum wieder. Alles hat sich verändert. Es gibt keine Schule mehr, keinen Tante-Emma-Laden, keine Störche, keine Kühe … Selbst die heilige Mittagsstunde der Dorfbewohner wird nicht mehr wie früher eingehalten. Dörte Hansen hat nach ihrem Debüt „Altes Land“ wieder einen sehr gefühlvollen und berührenden Roman verfasst, der noch lange nachklingt. Die wenigen Worte, die unter den Brinkebüllern fallen schreibt die Autorin in Plattdeutsch. Anfangs habe ich mich damit etwas schwer getan und mein Lesen war etwas holprig, aber irgendwie macht das diese Geschichte sehr authentisch und lässt uns in das Dasein dieser Menschen regelrecht versinken. Außer dem Leben der Familie Feddersen werden uns von der Autorin die Schicksale einiger anderen Dorfbewohner sehr anschaulich und herzergreifend erzählt. Der Protagonist Ingwer war mir ungemein sympathisch. Er kümmert sich liebevoll um seine Großeltern, sorgt in seiner Kieler Wohngemeinschaft für Sauberkeit und Ordnung, hat Verständnis für seine Schüler an der Uni, denkt in vielen Lebenssituationen an bestimmte Schlagerlieder, die seine Mutter Marret immer vor sich hingesungen hat und zur Entspannung gönnt er sich ab und an etwas beruhigendes zum Rauchen. Er nennt sich selbst „die Hitparade auf zwei Beinen“, weil er ständig Lieder wie „Einsamkeit hat viele Namen“ … in seinem Kopf hat. Auch das Ehepaar Ella und Sönke hat mein Herz berührt. Nicht immer lief alles glatt in ihren gemeinsamen Jahren und auch die Vergesslichkeit von Ella macht ein Zusammenleben nicht leicht. Doch trotz ihrer Träumereien von alten Zeiten und trotz den blauen Flecken, die sie Sönke immer wieder zufügt, steht dieser zu ihr und plant ihre Gnadenhochzeit. 70 Jahre verheiratet. Ingwer kann durch sein Dasein Mudder und Vadder, wie er seine Großeltern nannte, etwas von der Liebe zurückgeben, die sie ihm all die Jahre geschenkt haben. „Dat is min Jung“ „Minsch warmt Minsch“ … Marret war selbst noch ein hilfloses junges Ding, als sie ihren Sohn Ingwer zur Welt brachte aber Sönke hat ihn stolz durchs alte Dorf getragen und Ella hat ihn behütet wie ihr eigenes Kind. Nun war das Vater-Mutter-Kind-Spiel umgedreht. Die Rollen wurden getauscht und Ingwer sorgt sich um seine alten, gebrechlichen Großeltern. Ein wundervoller, berührender Roman, den ich am liebsten gleich noch mal lesen würde, weil er einfach das ganz normale Leben mit Höhen und Tiefen, den Verlauf der Zeit und des Älterwerdens beschreibt. Alle Emotionen schleichen sich im Laufe des Lesens hoch. Schmunzeln, Lachen, Erschütterung und Traurigkeit …Erinnerungen an die eigene Kindheit und die Frage, was wird uns im Laufe der Jahre noch erwarten … alles gehört zur Mittagsstunde von Dörte Hansen. Ganz großes Gefühlskino! 5 Sterne

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Die Inhaltsangabe lasse ich mal weg. Die findet sich leicht. Lieber meine Gedanken. Das Buch ist gut, einfach gut. Chapeau, Dörte Hansen. Völlig stimmig in Sprache und den Bildern, die sie zeichnet. Immer wieder hielt ich inne, dachte, ja, so ist das, so war das, alles wahr. Altes Land habe ich (noch) nicht gelesen, das Thema sprang mich nicht so an. Dieses hier schon eher. Reingelesen, weitergelesen, auch wenn das, was da kommen mag, am Anfang ein wenig zerfahren scheint. Es wird sich fügen. Und selbst im etwas zähen Beginn finden sich schon Sätze, die einen staunen, lächeln machen. Und ein wenig glücklich. Ein Buch das so viele Bilder in den Kopf zaubert. Ein Buch, in dem die Autorin streckenweise, so empfand ich es für meinen Lesestil, fast lyrisch textet und jedes Wort passt und trifft und berührt. Neben Robert Seethalers "Ein ganzes Leben" für mich eines der schönsten Bücher der vergangenen Jahre. Sechs Sterne!

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Drei Jahre mussten wir auf den zweiten Roman von Dörte Hansen (54) warten, deren Debüt „Altes Land“ auf Platz 1 der Jahresbestsellerliste 2015 geschafft hatte. Im Oktober erschien nun ihre „Mittagsstunde“ und verspricht, ein ähnlich großer Erfolgsroman zu werden. Hatte Hansen im „Alten Land“ die Landflucht der Großstädter zum Thema, die das Landleben zum Bauerntheater verkommen lassen, so nimmt Hansen in ihrem Folgeroman das Thema erneut auf, schildert hier aber die Flucht – oder ist es eher eine Vertreibung? – der Dorfbewohner in die Stadt. Die Bewohner von Brinkebüll, die im Dorf ihrer Vorfahren keine Zukunft sehen, geben ihre angestammte Heimat auf, um in der Stadt neues Glück zu suchen. „Es war so still im Dorf, kein Hund, kein Hahn. Kein Schleifen aus der Tischlerei, kein Hämmern mehr auf Haye Nissens Amboss. …. Man hörte keine Tiere mehr. Auch nicht die Stimmen, die die Tiere riefen, laut genug, um große Felder zu beschallen.“ Der große Umbruch kam Mitte der sechziger Jahre mit der Flurbereinigung. Haine, Hecken und Knicks am Rand jener kleinbäuerlichen Felder, die ihre Vorväter über Jahrhunderte beackert hatten, waren verschwunden. Sogar den riesigen Findling, der Jahrtausende an derselben Stelle mitten im Acker gelegen hatte, wurde, als Denkmal für die Flurbereinigung missbraucht, an die Ortseinfahrt verbracht. Nichts blieb wie früher, die alte Ordnung der Dörfler war zerstört. Wie sich das kleinbäuerliche und dörfliche Leben im nordfriesischen Geestdorf über Jahrhunderte nach ungeschriebenen Regeln abgespielt hatte, zeigt Hansen in lebendigen, prallen Bildern und atmosphärisch stimmiger Sprache mit plattdeutschen Einschüben. Voller Mitgefühl beschreibt sie ihre teilweise skurrilen Charaktere voller Ecken und Kanten. Als Leser liebt und leidet man mit diesen Dörflern. Doch trotz aller Empathie schafft es die Autorin, durch die Augen ihres vor Jahrzehnten ausgewanderten Protagonisten Ingwer Feddersen, Archäologe an der Universität Kiel, den objektiven Blick auf die eingeborenen „Dörpsminschen“ mit ihren Ecken und Kanten zu halten. An keiner Stelle ihres Romans läuft sie Gefahr, „die gute alte Zeit“ zu verherrlichen. Denn gut war die alte Zeit auf dem Land sicherlich nicht – einer der Gründe für den dörflichen Wandel. In den Erinnerungen ihrer Hauptfigur spult Hansen fünf und mehr Jahrzehnte zurück und zeigt diesen Wandel ländlichen Lebens. Der knapp 50-jährige Ingwer Feddersen hat sich in Kiel eine einjährige Auszeit genommen, um seine 90-jährigen Großeltern Sönke und Ella in seinem Heimatdorf zu pflegen. Ella leidet an zunehmender Demenz, aber Sturkopf Sönke steht sogar mit Rollator noch tagtäglich am Tresen seines Dorfkrugs. Doch längst bleiben die Gäste aus. Erst verschwanden die Hecken, dann die Störche. Die alten Kastanien am Straßenrand wurden gefällt, die Chaussee verbreitert, begradigt und asphaltiert. Die von den Bewohner früher stets eingehaltene Mittagsruhe wird jetzt gestört. Wenige Höfe wachsen, die Nebenerwerbshöfe werden aufgegeben. Städter kaufen die leerstehenden Hofgebäude und zimmern sich ihre eigene, unwirkliche Landidylle. In detailreichen und mit Humor geschilderten Episoden, die sich kapitelweise wie ein Puzzle zu einem farbigen Gesamtbild erschließen, erfahren wir einiges aus dem Dorfleben – auch manches, worüber dort niemand spricht: Nicht einmal Ingwer Feddersen kennt seinen Vater. Auch dass nicht Großvater Sönke, sondern Dorflehrer Steensen der leibliche Vater seiner schrulligen Mutter ist, wissen zwar alle, aber man spricht nicht drüber. Hansen beschreibt das Dorfleben als hartes, oft erbarmungsloses und tragisches Dasein. Doch die Dörfler hatten sich immer klaglos in ihr Schicksal gefügt: Nur drei Käsesorten im kleinen Laden, „mehr bruukt wull keen normale Minsch!“ Auch den Dorfladen gibt es längst nicht mehr. Dörte Hansens Roman „Mittagsstunde“ ist ein ausgezeichnetes und unbedingt lesenswertes Stück Heimatkunde.

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