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Rezensionen zu
Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne

Saša Stanišić

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Große Literatur ganz leichtfüßig!

Thalia Nord GmbH & Co. KG

Von: Markus Felsmann aus Köln

01.07.2024

Autofiktion als postmodernes Spiel der Möglichkeiten Anders als vom Feuilleton behauptet handelt es sich bei Saša Stanišićs neuem Buch nicht etwa um einen weiteren Kurzgeschichtenband, sondern um einen Roman (auch wenn der Verlag geflissentlich auf eine Genre-Angabe verzichtet), der mit viel Witz und Rückgriff auf postmoderne Erzählverfahren in zwölf Episoden den Weg des Autors zum Schriftsteller schildert. »Was wäre wenn?«, fragen sich der junge Saša und drei seiner migrantischen Freunde zu Beginn des Romans und imaginieren einen Proberaum, in dem man sich zehn Minuten seiner potentiellen Zukunft ansehen und diese dann bei (Nicht-)Gefallen kaufen (oder ablehnen) kann. Mit den sich erzählerisch anschließenden Episoden voller Alltagspoesie und gesellschaftlicher Reflexionen zeigt Stanišić, wie unterschiedliche Entscheidungen zu verschiedenen Leben führen könnten. Dabei spielt er virtuos mit diversen Erzählstilen, Dialekten, sozialkritischen und literarischen Andeutungen – etwa auf die Werke Heinrich Heines oder den Roman »Cloris« von Rye Curtis. Stanišićs meisterhafte Beherrschung der deutschen Sprache und die Fähigkeit, tiefgründige Inhalte durch scheinbar einfache Alltagssituationen zu vermitteln, machen »Möchte die Witwe …« zu einem abwechslungsreichen und zutiefst menschlichen Werk. Große Literatur ganz leichtfüßig!

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Seit Jahren schon bin ich ein großer Stanišić-Fanboy: Ich feiere seine Romane hart, habe sie schon dutzende Male empfohlen, verliehen und verschenkt, nerve ungefragt alle um mich herum, was dieser Mann bloß für ein Genie ist, und bin mir sicher, wäre ich noch Teenie, hätte ich ein Poster von ihm an der Wand. Nun ist nach fünf Jahren – und ein paar Ausflügen in die Kinderliteratur – endlich wieder etwas Belletristisches von Saša Stanišić erschienen, dementsprechend hoch waren bei mir Vorfreude und Erwartung… Zwölf Kurzgeschichten sind es, die uns der Autor kredenzt, und das Erste, das – nach dem sperrigen Titel – auffällt, ist die Bitte: »Der Reihe nach lesen«. Na, der traut sich ja was! Also fangen wir brav vorne an und lernen Fatih, Piero, Nico und Saša kennen, vier Jugendliche, die in den Heidelberger Weinbergen gelangweilt Steine in die Luft werfen. Sie alle kommen aus Migrationsfamilien und sind sich der Tatsache bewusst, dass ihre Leben wahrscheinlich um einiges schwieriger sein werden als die der anderen Kids. Da hat Fatih die grandiose Idee für einen Proberaum für das Leben: Für 130 Mark darfst du für zehn Minuten in eine mögliche Zukunft lunsen. Gefällt dir, was du siehst, kannst du’s einloggen und das passiert dann auch irgendwann mal – das kostet dich dann aber 130.000 Mark. Die folgenden Geschichten sind ab da an so etwas wie mögliche Zukünfte verschiedener Figuren, Versionen von Schicksalen, die vielleicht noch sein mögen, vielleicht aber auch nicht. Mit diesem einleitenden Gedankenkonstrukt baut sich Stanišić einen eigenen Spielplatz, auf dem er stilistisch und narrativ alles hemmungslos ausprobieren darf, was ihm gerade unter die Tastatur kommt. Georg Horváth bricht in seiner Vaterschaftszeit Pokémon Go-Rekorde, verliert aber gegen seinen kleinen Sohn beim Memory; Dilek ist mal Mutter in Heidelberg, mal Putzfrau in Wien; Witwe Gisel erzählt ihrem Mann im Grab von der Welt um sie herum; ein Parallel-Universum-Saša Stanišić wird auf Helgoland eines schwerwiegenden Diebstahls bezichtigt; ein anderer liest auf einem Hochsitz Weltliteratur; Miroslav Klose und Heinrich Heine haben Cameos… Und alles ist komplex miteinander verlinkt, verknotet und verbunden. Um es einmal festzuhalten: MÖCHTE DIE WITWE ANGESPROCHEN WERDEN, PLATZIERT SIE AUF DEM GRAB DIE GIESSKANNE MIT DEM AUSGUSS NACH VORNE ist ein großer literarischer Spaß mit jeder Menge Tricks der hinterlistigen Art. Irgendwann habe ich aufgehört, mir die Querverweise, Meta-Gags und Spielereien zu markieren, es nahm einfach kein Ende. Und eigentlich liebe ich solche kunstvoll verschnörkelten Texte auch (der Saša auf Helgoland zum Beispiel ist sich seinem Figurendasein vollkommen bewusst, denn als er sich in einem Gasthof endlich mal umschaut, weiß er, dass schon elf Seiten vergangen sind – ich schmeiß mich weg bei sowas!), aber diesmal ist der Funken nicht oder irgendwie nur ab und zu übergesprungen. Es ist nämlich so, dass ich Stanišić nicht nur wegen seiner verspielten Art zu schreiben so schätze, sondern vor allem auch wegen der Ernsthaftigkeit, die er versiert unter seine Funken sprühende Prosa legt; das hat mir diesmal gefehlt. Sicherlich haben ein paar der Figuren seelisch schwer zu schleppen und hier und da sind wirklich schlaue Sätze über unsere in vielerlei Hinsicht defekte Gesellschaft zu finden. Aber durch die »Große Zaubershow der stilistischen Tricks«, die Stanišić diesmal mit lautem Tschingderassabum abliefert, lenkt er den Blick zu sehr vom Detail weg. Und wenn sich der ganze Bühnennebel dann verzogen hat, ist kaum noch was Brauchbares in Erinnerung geblieben. Zu viel Spielerei, zu wenig Tiefgang – leider. Ich halte Saša Stanišić nach wie vor für einen brillanten Schriftsteller, glaube aber, bei meinem Fanboy-Poster hat sich gerade ein Klebeband gelöst…

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Nicht einfach zu lesen aber absolut lesenswert

Von: Stines Lesereise

17.06.2024

„Interessiert dich ein Moment nicht zu 100 Prozent, assoziierst du dich weg zu einem interessanteren.“ (S. 35) Ich kann ohne nachprüfen mit Sicherheit behaupten, dass dieses Buch das Buch mit dem längsten Titel ist, den ich besitze. Es gaukelt vor, eine Sammlung von Kurzgeschichten zu sein. Hat man es aber der Anweisung des Autors auf Seite 5 folgend: „Bitte der Reihe nach lesen.“ durchgearbeitet, stellt man fest, dass man ein sehr gut durchkomponiertes Buch in den Händen hält. Sehr sehr schlau geschrieben! Inhaltlich fällt es mir schwer, es richtig zu beschreiben, ohne einen Teil des Lesespaßes vorwegzunehmen. Für mich war es nicht immer einfach zu lesen, dennoch oder wahrscheinlich eher deswegen fand ich es absolut lesenswert. „Ich mochte nicht, dass ich wegen einer Sprache, die ich unvollständig sprach, behandelt wurde, als sei ich unvollständig.“ (S. 206) Ich werde wohl noch eine Weile darüber nachdenken. Es zählt zu den Büchern, die ich gerne nochmal lesen möchte.

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Im neuen Buch „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie aut dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ von Saśa Stanisić (@howtowaitforalongtime ) treffen wir auf zwölf Erzählungen von verschiedenen Menschen. Die im Kern die Thematik verbindet was wäre, wenn wir uns verschiedene Zukunftsvariationen ansehen könnten und uns dann für unsere liebste Version entscheiden könnten. Im Sommer 1994 begegnen wir vier Freunden, die davon ausgehen, dass sie keine gute Zukunft haben werden. Sie entwickeln die Idee die Zukunft für 10 Minuten auszuprobieren, aber dieser Plan kostet Geld. Ganz viel Geld. Dann ist da die Witwe Gisel aus der titelgebenden Geschichte, die sich am Grab ihres Mannes wünscht noch einmal mit ihm streiten zu können. Oder ein Vater, der einfach mal gegen seinen eigenen Sohn im Piraten Memory gewinnen möchte. Alle Figuren haben ihre eigenen Wünsche und Ängste. Die Geschichten stehen dabei nicht unbedingt für sich. Einige der Figuren tauchen auch in den folgenden Erzählungen auf und sind meiner Meinung nach gekonnt miteinander verbunden worden. Aus den Kurzgeschichten entspannt sich leise ein Roman. Trockener Humor trifft auf Emotionen. Man fiebert mit dem Figuren mit und steigt selbst ein ins Nachdenken über das eigene Leben.

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Nachdem ich das Buch „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ von Saša Stanišić in der Buchhandlung entdeckt habe, war meine Neugierde geweckt. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir der Autor bis dato kein Begriff war. Gut, dass sich das nun geändert hat, denn mit Sicherheit war dies nicht das letzte Buch von Saša Stanišić, das ich gelesen habe. Das Buch ist eine Sammlung mehrerer Kurzgeschichten, die uns an verschiedene Orte und zu unterschiedlichen Menschen führen. Da ist zum Beispiel Dilek, die ihrer Heimat den Rücken gekehrt hat und seit Jahren als Reinigungskraft arbeitet. Oder Georg, dessen Sohn Paul ihn mühelos beim Memory schlägt. Und dann ist da noch Gisel, die ihre Tage nach dem Tod ihres Mannes recht einsam verbringt. Alle Geschichten sind fein miteinander versponnen und ergeben ein kleines Gesamtkunstwerk. Saša Stanišić führt uns an Orte, an denen es plötzlich möglich wird, den schwierigeren Weg zu gehen, eine unübliche Wahl zu treffen oder die eine gute Lüge auszusprechen. So wie die Reinigungskraft, die beschließt, mit einer Bürste aus Ziegenhaar in der Hand, endlich auch das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Oder der Justiziar, der bereit ist zu betrügen, um endlich gegen seinen achtjährigen Sohn im Memory zu gewinnen. Und der deutsch-bosnische Schriftsteller, der zum ersten Mal nach Helgoland reist, nur um dort festzustellen, dass er schon einmal auf Helgoland gewesen ist. Ganz angetan bin ich von der Sprache, in der Stanišić erzählt. In meinen Augen besitzt er einen unverwechselbaren Schreibstil, mit dem er es schafft, seine Figuren zum Leben zu erwecken und die Handlung Wirklichkeit werden zu lassen. Beschreibungen wie die „beruflich diverse(n) Badeenten“, außergewöhnliche Vergleiche und die trockene Ehrlichkeit mancher Protagonisten haben mich an etlichen Stellen schmunzeln lassen. Mit seinem Werk zeigt der Autor auf, dass es sich lohnt, für eine gute Zukunft schon heute ein guter Mensch zu sein. Wie wir handeln und welche Entscheidungen wir treffen, beeinflusst unser persönliches Glück. Bedeutsam ist außerdem, wie wir auf unser Leben blicken. Sehe ich das Glas also halbleer oder halbvoll? Kurzum: Jeder Mensch hat sein Leben und sein persönliches Glück selbst in der Hand – man muss sich dessen nur bewusst sein. Ich habe oft gelacht, als ich dieses Buch gelesen habe. Ich habe mich in Gedankenspielen verloren und sie wieder verworfen. Ich habe mich ertappt gefühlt und mich gefreut. Und ja, gerührt war ich auch und manchmal wurde ich auch geschüttelt – ich wurde sozusagen zum lesenden Martini. Für alle, die tiefgründige und gleichzeitig unterhaltsame Literatur schätzen, kann ich dieses Buch nur empfehlen. Stanišićs Geschichten sind eine wahre Bereicherung und lassen uns über unser eigenes Leben und die unzähligen Möglichkeiten nachdenken, die uns offenstehen. Wer also bereit ist, sich auf eine literarische Reise voller Überraschungen und Einsichten zu begeben, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Es lohnt sich.

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Ich bin eine Kinderbuch-Stanisić Leserin und immer wieder sehr begeistert von der unglaublichen Originalität seiner Texte und der grandiosen Treffsicherheit seiner Sätze. Er schreibt, wie man spricht, oder sich gerne ausdrücken möchte und fügt die Worte so zusammen, dass man sehr gut unterhalten wird und gleichzeitig froh ist, dass er das jetzt gerade genauso geschrieben hat. Irgendwie .... Mein erster Roman von ihm MÖCHTE DIE WITWE ANGESPROCHEN WERDEN, PLATZIERT SIE AUF DEM GRAB DIE GIEßKANNE MIT DEM AUSGUSS NACH VORNE reiht sich völlig nahtlos in diese GedankenLeseLiebe mit ein. In den 12 Kurzgeschichten, die mal mehr mal weniger miteinander verbunden sind, trifft man auf Einsame und Gemeinsame, Familien und Freunde, Situationen und Erinnerungen. Und Entscheidungen ... Man trifft auf das Leben in seiner fabelhaften FacettenFeinheit und ist überrascht von so viel Wahrheit und Gespür.

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Zwölf besondere Erzählungen Von Saša Stanišić habe ich bereits seinen großartigen Roman „Herkunft“ gelesen, der im Jahr 2019 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ ist sein neuestes Buch, das eine Sammlung von Erzählungen enthält. Der Buchtitel fällt sofort ins Auge und ist gleichzeitig auch der Titel einer der Geschichten. Insgesamt enthält das Buch 12 Erzählungen, von denen einige miteinander verbunden sind – manche fein über einzelne Fäden, andere durch verschiedene Personen. Einige der Kurzgeschichten sind eng miteinander verknüpft und setzen die vorherige fort. Von Freunden die überlegen, wie es wäre, wenn man verschiedene Lebenswege auf Probe ausprobieren könnte, über eine Reinigungskraft, die beschließt, ihr Leben endlich nach ihren Vorstellungen zu leben, von skurrilen Gründen für das Zuspätkommen bis hin zu einem Schriftsteller und einem Hochsitz, Heinrich Heine und Helgoland – es gibt einiges zu entdecken. „Wie super wäre es“, fuhr er fort, „wenn es einen Proberaum für das Leben gäbe? Du gehst zehn Minuten rein und probierst zehn Minuten aus der Zukunft? Wie bei Deichmann, nur nicht mit Schuhen, sondern mit dem Schicksal. Kostenpunkt: hundertdreißig Mark. (Fatih) – Seite 11, eBook Die Geschichten sind alle interessant, einnehmend und auf besondere Weise erzählt. Der Autor hat seinen eigenen Erzählstil, der gleichzeitig locker und auch detailreich ist. Die Charaktere sind stark gezeichnet und haben ihre ganz eigenen Geschichten – von Träumen und Ängsten, von Unsicherheit und Stärke, bis hin zu Glück, Hoffnung und auch Traurigkeit – alles wird in der jeweils passenden Atmosphäre eingefangen und mit feinem Gespür erzählt. Auch Fatihs Anproberaum wird später noch zu einem zentralen Thema. Mal berührend und nachdenklich, dann auch etwas humorvoll und etwas schräg – es gibt eine bunte Mischung und jede einzelne Geschichte hat eine ganz eigene besondere Note, ab und an auch mal mit autobiografischen Zügen. „Mit der Heine-Lektüre begann ich an einem milden Nachmittag im Mai, 1994. Der Wald surrte und sang, ich las und las. (…) Bei mir herrschte ringsum das sachte Rauschen der Blätter, was wie Stille anmutete. Wald im Wind, Fenster im Regen, Gluckern eines Gewässers, Kuhschellen auf der Alm – das sind Geräusche mit Nebenwirkung von Stille.“ (Sasa) – Seite 131, eBook Mein Fazit: Eine Sammlung von lesenswerten Erzählungen, die auf besondere Weise miteinander verwoben sind. Mit einem einnehmenden und gleichzeitig lockeren Schreibstil erzählt der Autor von verschiedensten Begebenheiten – einige der Geschichten sind eng miteinander verbunden, einige nur locker. Gut ausgearbeitete Charaktere und unterschiedlichste Lebenssituationen, die immer in der jeweils passenden Atmosphäre erzählt werden, machen dieses Buch zu einem Lesehighlight. Sehr empfehlenswert.

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Saša Stanišić neuer Erzählungsband „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ ist 2024 bei Luchterhand erschienen. Im Sommer 1994 treffen sich vier Freunde „Ausländerjungs in Deutschland“ in den Weinbergen, die sich selbst keine guten Zukunftsaussichten prognostizieren. Fatih heckt einen Plan aus: „Wie super wäre es, wenn es einen Proberaum für das Leben gäbe? Du gehst in den rein und probierst zehn Minuten aus der Zukunft? Wie bei Deichmann, nur nicht mit Schuhen, sondern mit dem Schicksal. Kostenpunkt: hundertdreißig Mark. Falls dir dann gefällt, was du siehst, kannst du es direkt einloggen und dich gleich darauf freuen, weil diese zehn Minuten werden hundertpro irgendwann kommen. Das Einloggen kostet hundertdreißigtausend Mark.“ Das wirft natürlich die Kostenfrage auf, aber eventuell ist ja schon der Traum eines besseren Lebens ausreichend. Fatihs Plan ist auf jeden Fall ausgeklügelt: „Ihr strengt euch an, damit diese Zukunft eine größere Chance hat, einzutreffen! Ihr fresst nur noch Brokkoli und Nüsse und trinkt nur noch Wein und Olivenöl wie die Griechen. Ihr werdet freundlicher zu allen, weil man weiß, weniger assi zu sein, verbessert die Lebensqualität. Schon seid ihr gesünder und glücklicher, ganz ohne den Proberaum!“ Saša Stanišić hat neun Geschichten verfasst, von den die erste „Neue Heimat“ ist. Sie sollten laut dem Autor der Reihe nach gelesen werden. Die Erzählungen hängen alle miteinander zusammen, was wir vor allem in ihren Figurenkonstellationen feststellen. Ihre zeitlichen Abläufen zwischen Bosnienkrieg und unmittelbarer Gegenwart, laufen wiederkehrend auf die Frage nach und der Auseinandersetzung mit der Herkunft hinaus. Ich würde Saša Stanišićs Ton in der deutschen Gegenwartsliteratur als einzigartig bezeichnen, als ungekünstelt aber künstlerisch. Seine Prosa führt zu neuen Denkanstößen. In der titelgebenden Erzählung besucht Gisel das Grab ihres vor vier Jahren verstorbenen Mannes. Sie hat sich natürlich daran gewöhnt, ohne ihn zu leben, aber manchmal überflutet sie die Sehnsucht, dann wünscht sie ihn sich her, wünscht sich, mit ihm streiten zu können, und dass er sich für irgendwas entschuldigt. Kann man schöner von der Liebe erzählen? „Einem geliebten Menschen böse zu sein, sollte niemandem schwerfallen. Beide schweigen dann eine Weile, oder einer geht Holz hacken, der andere Zugvögel gucken, oder was man halt gerne macht, und schon hat man Kraft, um einander wieder wohlgesonnen zu sein. Und sich auch wieder zu streiten, wenn es sein muss, ja.“ Gleichzeitig finden wir in diesen Erzählungen auch viele autobiografische Anspielungen Stanišićs. Wir erfahren wie ein Hochsitz zu seinem Lese- und Geschichtenerfindungsort wurde; wie er von Heinrich Heine inspiriert nach Helgoland reist, und sich dort in einem Spiel mit der Wahrheit und einer erfundenen Geschichte selbst als Autor begegnet. Stanišićs zeichnet Figuren des normalen Lebens. Sie sind keine Abenteurer, keine Helden, keine Stars, sie leben ihr Leben unglamourös. Sie leben in ganz unprätentiösen Orten wie Winsen an der Luhe, Bremen, Heidelberg oder der Lüneburger Heide. Der Autor mag die Menschen, über die er schreibt. Für mich ist es die Mischung aus Einfühlsamkeit und Humor, die diese Erzählungen zu einem Lektüregenuss machen.

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